Die Prüfung

Es war kalt. Kalt und seine Glieder schmerzten. "Wie spät mochte es wohl sein ?", "Wie lange war er schon hier ?". Er wusste es nicht - und mehr noch: in ihm reifte die Erkenntnis, dass es auch keinen Weg gab, dies in Erfahrung zu bringen.

Die Kerze verbreitete einen magischen Schein. Es schien, als wäre das warme Licht, das sie ausstrahlte, ein Zeichen aus einer anderen Welt. Einer Welt, die nun nicht mehr die Seine war. Die Welt, die in diesem Moment so unendlich weit entfernt war von ihm. So weit entfernt, wie diese Kerze, die für ihn ebenfalls unerreichbar war. Dabei reichte ihr schwacher Lichtschein bei Weitem nicht aus, den Ort, an dem er sich befand, zu beleuchten. Wie sehr sehnte er sich danach, etwas zu sehen.

Es war still. Ab und zu hatte er Schritte gehört. Entfernte Schritte, deren Ziel er nicht ermessen konnte. Dann wurde es wieder ruhig. Er wusste nicht, wann er zuletzt ein Geräusch von draußen wahrgenommen hatte, einen Laut, der ihm zeigte, dass er nicht alleine war, ein Zeichen von...Leben. Wie sehr sehnte er sich danach, etwas zu hören.
Das leise Klicken der kleinen eisernen Kettenglieder war das einzige Geräusch, das die Stille durchdrang, als er sich ein wenig bewegte. Jene kurze Kette, die den gepiercten Ring, den er um sein Genital trug, verband mit dem Eisenring, der vor ihm in den Boden eingelassen war und die ihn deshalb in dieser demütigen Haltung an dieser Stelle fixierte.

Er hatte sich noch nie in seinem Leben so einsam gefühlt. Der Wasservorrat war längst aufgebraucht, die Flasche leer. Gegessen hatte er nichts mehr, seit er hierher gebracht wurde. - Wie lange war er wohl schon in diesem dunkeln Verlies ?
Dabei war die Türe, die in das Gitter der Zelle, in der er sich befand, eingelassen war, offen. War bewusst und mit Absicht offen gelassen worden. Eine ganz perfide Form der Provokation...eigentlich bräuchte er nur hinauszugehen durch die offene Türe, nach draußen, in die Sonne, in die Wärme, wenn nicht, ja wenn nicht, sein Genital hier angekettet wäre.

Irgendwann würde sie kommen. Das wusste er. Daran konnte es keinen Zweifel geben. Sie würde kommen und ihn erlösen. Erlösen ? - Eine Prüfung hatte sie gesagt, sollte es sein. Eine Prüfung, die er bestehen musste, für seine Herrin bestehen musste, wenn er ihr seine Bereitschaft für sie zu leiden, beweisen wollte. Er wusste, dass die diesbezüglichen Ansprüche seiner Herrin hoch waren, aber er wollte es schaffen, vor ihren Augen zu bestehen, als er einwilligte, sich einer Prüfung zu unterziehen, auch ohne zu wissen, worin diese bestehen würde. Wenn sie nur endlich käme, ihn herausführte aus der Dunkelheit dieses Nichts in das Licht dort draußen. Ja, er war sich des Symbolcharakters dieses Gedankengangs bewusst. Ob sie das so geplant hatte ? - Sollte das die Lehre sein, die er aus dieser Prüfung ziehen sollte ? Wie quälend war der Gedanke an jene Momente des Glücks, in denen er seiner Verehrung in inniger Verbundenheit zu ihren Füßen Ausdruck geben durfte und wie unendlich weit weg schienen ihm diese Momente in diesem Augenblick.

Dann hörte er Schritte. Schritte, wie sie von Stiefeln verursacht werden, die über Steinboden laufen. Und dann wieder absolute Stille! Nichts mehr! Hatte er sich dieses Geräusch eingebildet ? - War er nicht mehr Herr seiner Sinne oder ist sie jetzt zu ihm gekommen ? Steht vielleicht nur einen Schritt hinter ihm ? Er wagte kaum zu atmen, geschweige denn sich zu rühren. Es blieb still. Totenstill!

Er hatte sich geirrt, da war er jetzt ganz sicher! Aber wann würde es endlich soweit sein ? Entweder das Geräusch vorhin war von woanders hergekommen oder er hatte es sich eingebildet. Da spürte er einen warmen Hauch an seinem Ohr und er hörte die in diesem Moment fast zärtliche Stimme seiner Herrin zu ihm sagen: "Ich grüße Dich, mein Sklave. Wie geht es Dir ?" . Noch nie in seinem Leben war er so glücklich.